Jonas Kohl
Es ist für eine kritische Betrachtung urbaner Lebensräume essentiell, die Dimension des Erlebens dieser Räume durch deren Bewohner miteinzubeziehen. Es ist im Konsens der Städteplanung angekommen, dass eine Konzeption, in welcher es möglich ist, den Menschen auf ein funktionales Muster zu reduzieren, übersieht, dass der Mensch in all seinen Handlungen in ständiger Interaktion mit seiner Umwelt steht, dass seine Wahrnehmung des Raums seine Handlungsweisen maßgeblich beeinflusst. Darüber hinaus hat sich der Horizont dieser Erkenntnis inzwischen über die visuellen Aspekte unserer Wahrnehmung hinaus erweitert: Akustische Architektur gehört jetzt zum festen Repertoire des modernen Städteplaners. Auch in der klanglichen Gestaltung von Lebensraum geht es zentral darum, psychologische Effekte zu verwenden, um das Erleben – und somit effektiv das Verhalten – der Menschen in diesem Raum zu „verbessern“. So wie die nächtliche Beleuchtung öffentlich zugänglicher Plätze zur Verringerung der Anzahl dortiger Verbrechen verwendet wird, soll das Beschallen öffentlicher Orte – wie des Hamburger Hauptbahnhofs oder der Brüsseler U-Bahn – mit klassischer Musik, Drogenabhängige aus diesen Bereichen vertreiben. Angeblich, weil die hohen Frequenzen dieser Musik, bei Menschen unter Drogeneinfluss physische Schmerzen auslösen sollen.
Weniger drastisch und tragisch-komisch sind die Versuche, die soundscapes des urbanen Raumes angenehmer für dessen Bewohner zu gestalten. Doch auch diesen Bemühungen liegt es zu Grunde, den Menschen als eine passive Variable und nicht als bewussten Akteur zu verstehen. Die Person, die sich in diesen geplanten Räumen aufhält, soll eben nicht merken, in welcher Weise hier strukturell auf ihr Verhalten eingewirkt wird. Der Gestaltung „angenehmer soundscapes“ liegt ein negatives Verständnis des Angenehmen zu Grunde: dort wo mich kein Geräusch stört und somit aus meiner unbewussten Erfahrung des Raumes reißt, habe ich ein angenehmes klangliches Umfeld.
Wenn wir den urbanen Raum umdenken und renovieren wollen, so muss es uns ein zentrales Anliegen sein, das bewusste Verhalten der Menschen in jenem Raum zu fordern, also ihr sinnliches Bewusstsein für den Raum zu fördern. Dabei besteht die Notwendigkeit, den Menschen aus seinem passiven Alltag auszulenken und in eine aktive Handlungssituation zu bringen. Die folgend vorgestellte Installation ist ein Vorschlag, eine solche Situation zu schaffen.
Das „Sound Periscope“ ist eine interaktive Installation für einen öffentlichen Raum, beispielsweise den Berliner Hauptbahnhof. Es wird an einem Seil von der Decke gehängt. Der Schalltrichter konzentriert die Klänge der Umgebung und leitet sie in den hohlen Korpus des Periskops. Die interagierende Person stellt sich gewissermaßen in die Installation, indem sie ihren Kopf in den – nach unten hin geöffneten – Korpus hält. Mit Hilfe der Griffe kann sie das Objekt frei im Raum drehen und das klangliche Erlebnis so verändern. Optional lässt sich die Installation durch ein Seilzugsystem mit Gegengewicht in der Höhe verstellen.
Die Installation fordert auf der einen Seite das bewusste Erfahren der klanglichen Umgebung – ein Zustand der in unserem Alltag fast nie vorkommt – und erschafft auf der anderen Seite durch seine amplifizierende Funktion einen kritischen Moment: Die Geräusche, die durch akustische Gestaltung gedämpft und überspielt werden, drängen sich uns wieder auf und entlarven die artifizielle Art unseres klanglichen Umfelds.